Schwäbische Post
Von Benjamin Leidenberger
Dr. Tobias Pukrop ist in Ellwangen geboren und in Lauchheim aufgewachsen. Heute forscht, arbeitet und lehrt er am Universitätsklinikum Göttingen, im Bereich der Krebsforschung. Für seine Erfolge wird er mit dem Württembergischen Krebspreis ausgezeichnet. Der 37-Jährige erklärt im Gespräch mit der Schwäbischen Post, was er entdeckt hat. Und warum er sich für diesen Weg im Leben entschieden hat.
Aalen/Göttingen. Die Auszeichnung erhält der Forscher für seine Entdeckung, dass Krebszellen nicht allein verantwortlich sind, dass sich Tumore im Körper ausbreiten. Sie erhalten Hilfe von Fresszellen, die eigentlich die bösartigen Zellen aufhalten sollen. Eine Erkenntnis, die bislang noch nie so eindeutig gezeigt werden konnte.
Es war während des Zivildienstes, als Pukrop als Rettungshelfer beim DRK in Bopfingen arbeitete. „Da entschied ich mich für das Medizinstudium“, , sagt Pukrop. Ich wollte die menschliche Physiologie kennenlernen. Wissen, warum es zu der einen oder der anderen Erscheinung kommt, wenn im Körper etwas nicht funktioniert. Ein Jahr zuvor noch während des Abiturs am Ostalb-Gymnasium in Bopfingen hatte er Biochemie studieren wollen. Um die Wissenschaft von der Pike auf zu lernen“, wie er sagt. Diesem Feld wandte sich Pukrop während des Medizinstudiums wieder zu, als er sich für eine Doktorarbeit in der biochemischen Abteilung der medizinischen Fakultät entschied. Dort kam er zum ersten Mal mit wissenschaftlichen Fragestellungen und modernen Labormethoden in Kontakt.
Pukrop entschied sich, krebskranke Menschen zu therapieren und spezialisierte sich auf Hämatologie und Ónkologie: „Es ist das Fach, in dem sich Wissenschaft und Patientenbehandlung aktuell am Besten kombinieren lassen.* Und: Es ist einer der medizinischen Bereiche mit den größten Fortschritten in den letzten Jahren.* Im Jahr 2006 wurde er für seine Forschung mit dem Vincenz-Czerny-Preis der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie/Onkologle ausgezeich-net. Jetzt steht die nächste Auszeichnung an. Am 11. Juli wird ihm in der Universität Tübingen der Württembergische Krebspreis 2010 verliehen.
Pukrop und seine Arbeitsgruppe erforschen das Verhalten der Körperzellen bei der Ausbreitung von Krebserkrankungen. Sie haben herausgefunden, dass auch „gesunde“ Zellen bei der Streuung von Tumoren mitwirken. „Es ist die Erkenntnis, dass es die Tumorzelle nicht alleine schafft“ , sagt Pukrop über die Kernaussage seines Versuches. „Das ist wie bei einem Gefängnisausbruch. Die, die rauskommen, haben meistens Hilfe von anderer Seite.“ Dass dem so ist, wird zwar in der Forschung mehr und mehr angenommen, Beweise dafür sind aber rar. Pukrop hat in einer Versuchsanordnung zeigen können, dass spezielle Zellen im Gehirn, die für die Abwehr eindringender Stoffe zuständig sind, der Tumorzelle zuarbeiten.
Die Zellen heißen Mikroglia. „Alle Stoffe, die in das Hirn wollen, müssen an ihnen vorbei“ , beschreibt der Experte. Der Versuch zeigt, dass die Mikroglia beim Kontakt mit bösartigen Tumorzellen ihr Verhalten ändern. Zwar greifen sie die schädlichen Zellen an, doch statt sie zu vernichten, scheinen sie plötzlich wie Schmuggler zu agieren, und die Tumor-zellen ins Gehirn zu geleiten. Ein bisschen wie beim Pferd von Troja.
„Die Leute sind fasziniert“, sagt er über die Reaktionen aus dem Forscherkreis. Auch wenn unter Grundlagenforschern eine gewisse Skepsis gegenüber neuen Theorien bestehe. „Wir sagen ja aber auch nicht, dass es ausschließlich nach diesem Mechanismus funktioniert. Aber wir sagen, dass man es in Betracht ziehen muss.“
Hinter dem aktuellen Forschungserfolg steht viel Arbeit. Seit 2006 hat Pu-krop seine Forschung auf die Mikroglia spezialisiert, schon seit 2003 forscht seine Arbeitsgruppe mit Fresszellen des Immunsystems, den Makrophagen. „Nicht nur die Krebszelle entscheidet über das Schicksal, sondern auch viele gutartige Zellen um sie herum“, sagt Pukrop. Dieses Zusammenspiel sei wichtig für den Krankheitsverlauf. Streut ein Tumor bis ins Gehirn, sind die Heilungschancen äußerst gering.
„Wir haben einen neuen therapeutischen Ansatz“, sagt Pukrop. Was daraus erwächst, muss die Zukunft zeigen. Schon jetzt testen die Forscher um Pukrop mit Substanzen, die das Fehlverhalten der Mikroglia unterbinden und sie zu ihrer ursprünglichen Aufgabe zurückführen.
Bis tatsächlich darauf basierende Medikamente oder Therapien auf den Markt kommen können, stehen noch Jahre der Forschung an. Dafür ist auch das Preisgeld bestimmt: 85 000 Euro Projektförderung erhält Pukrop für die Auszeichnung von der „Dres. Carl Maximilian und Carl Manfred Bayer“-Stiftung als Projektförderung.
Heimliche Helfer im Hirn
Abwehr außer Kraft: Freßzellen werden zum Türöffner
Das Phänomen, das Pukrop – wie andere auch – beobachtet hatte, war eine vermehrte Streuung (Metastasierung) der Tumorzellen auf bestimmte Organe, wie Lunge, Leber und Gehirn. Es wird vermutet, dass dort spezialisierte Fresszellen des Immunsystems, die eigentlich der Abwehr von schädlichen Stoffen dienen, bei der Verbreitung der Tumorzellen beteiligt sind. Pukrop hat dieses Verhalten am Beispiel von Mäusegehirnen untersucht. Dazu hat er Hirnscheiben neben Tumorzellen angeordnet. Seine Mikroskopaufnahmen zeigen in Echtzeit, wie die Mikroglia-Zellen, die im Gehirn die Abwehrfunktion übernehmen, sich auf die Tumorzellen zubewegen und sie in die Richtung der Gehirnmasse leiten. Warum das geschieht und ob und wie man diesen Prozess beeinflussen kann, wird nun Gegenstand seiner Forschung werden. Die Projektförderung des Preises will Pukrop in Personal und Material umsetzen und in die Erforschung eines weiteren Feldes. Pukrop will untersuchen, an welchen Stellen sich der Kontakt zwischen Mikroglia- und Tumorzelle abspielt. „Wie die Hände beim Handschlag zur Begrüßung“, vergleicht Pukrop. Es könnte sich ein weiterer Ansatzpunkt ergeben, die unliebsame Beziehung zwischen Beschützerzelle und bösem Eindringling zu unterbinden.